Teneriffa | Geschichte & Geschichten

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Zwischen Mythos und Karte – Die Kanaren in der antiken Geografie

Zwischen Mythos und Karte – Die Kanaren in der antiken Geografie

Lange bevor europäische Seefahrer die Kanarischen Inseln im Mittelalter „wiederentdeckten“, waren sie längst Teil des kulturellen Gedächtnisses. Antike Autoren aus Griechenland und Rom erwähnten Inselgruppen im äußersten Westen – jenseits der bekannten Welt. Sie nannten sie „Inseln der Seligen“ oder „Glückliche Inseln“, beschrieben sie als fruchtbar, friedlich und vom Rest der Welt abgeschieden. Diese Vorstellungen vermischten sich mit Beobachtungen realer Seefahrer und frühen geografischen Theorien. Die Kanaren waren nie ganz vergessen – sie blieben eine Randerscheinung zwischen Mythos, Seemannsgarn und Weltbeschreibung.

Plinius, Ptolemäus und die „Inseln der Glückseligkeit“

Der römische Gelehrte Plinius der Ältere erwähnt in seiner „Naturalis Historia“ (1. Jh. n. Chr.) eine Inselgruppe im Atlantik, die von Karthagern unter Protest wieder verlassen worden sei – zu schön sei der Ort gewesen. Er beschreibt fruchtbare Böden, zahme Tiere und ein mildes Klima. Auch der Astronom Ptolemäus verortete in seiner Weltkarte (2. Jh. n. Chr.) die sogenannten „Fortunatae Insulae“ – die Glücklichen Inseln – westlich von Mauretanien. Diese galten ihm sogar als Referenzpunkt für den Nullmeridian.

Die Beschreibungen stimmen in auffallender Weise mit den Gegebenheiten der Kanarischen Inseln überein – insbesondere Teneriffa und Gran Canaria dürften gemeint gewesen sein.

Herodot, Strabon und die Grenze der Welt

Schon Herodot sprach im 5. Jahrhundert v. Chr. von einem Ozean jenseits der „Säulen des Herakles“ – der Straße von Gibraltar. Für die Griechen endete dort die Welt. Alles, was dahinter lag, war geheimnisumwoben. Der Geograph Strabon (1. Jh. v. Chr.) erwähnte Inseln „jenseits von Mauretanien“, von denen Seeleute berichteten, sie seien reich an Wasser, Holz und Jagdwild.

Diese Aussagen deuten auf eine indirekte Kenntnis der Kanaren hin – möglicherweise durch phönizische oder karthagische Seefahrer, deren Routen nie schriftlich dokumentiert, aber mündlich überliefert wurden.

Atlantis, Elysium und das westliche Paradies

Die Kanaren wurden mit mythischen Orten gleichgesetzt. Für griechische Philosophen lagen hier die „Inseln der Seligen“ – Elysium, wo Helden nach dem Tod verweilten. Manche verbanden sie sogar mit der untergegangenen Insel Atlantis. Besonders Teneriffas Vulkan Teide wurde später mit dem „Atlas-Berg“ gleichgesetzt, der der Sage nach das Himmelsgewölbe trug.

Solche Vorstellungen zeigen, wie stark das Bild der Kanaren als Grenze zwischen Welt und Jenseits verankert war – geografisch und symbolisch.

Gab es antike Seefahrten zu den Kanaren?

Es gibt keine archäologisch gesicherten Belege für phönizische oder römische Siedlungen auf den Kanaren, aber zahlreiche Hinweise auf punktuelle Kontakte: römische Amphorenfunde auf Lanzarote, importierte Glasfragmente auf La Palma, sowie stilistische Parallelen in Keramiken deuten auf Austausch hin.

Einige Theorien vermuten, dass die frühe Besiedlung der Inseln durch nordafrikanische Berberstämme teilweise durch Vermittlung phönizischer Handelsnetzwerke erfolgte.

Die Kanaren als Rand der Weltkarte

In der Spätantike und im Frühmittelalter verschwanden die Kanaren weitgehend aus den Schriftquellen Europas – aber nicht aus den Karten. In islamischen, byzantinischen und frühchristlichen Weltentwürfen lagen sie weiterhin im äußersten Westen. Noch auf der berühmten Hereford-Karte (13. Jh.) erscheinen die „Inseln der Seligen“ – ein Nachhall antiker Vorstellungen.

Erst im 14. Jahrhundert rückten sie durch portugiesische und genuesische Expeditionen wieder ins konkrete Interesse der Seefahrt – doch die Symbolik als „letzter Ort vor dem Unbekannten“ blieb bestehen.

Quellen und weiterführende Informationen
  • Plinius der Ältere: Naturalis Historia, Buch VI, Kap. 37
  • Ptolemäus: Geographia, Buch IV, Kap. 6 (Koordinaten der Fortunatae Insulae)
  • Strabon: Geographika, Buch XVII
  • Herodot: Historien, Buch IV
  • Rafael González Antón: Las Islas Canarias en la Antigüedad (Ed. Interinsular Canaria, 1982)
  • José Farrujia de la Rosa: Arqueología de los paisajes antiguos de Canarias (2010)
  • Joaquín González Echegaray: Los primeros contactos del mundo clásico con las Islas Canarias (Revista de Historia Canaria, 1974)
  • Funde-Funde Datenbank für Antike Kartenbilder (Universität Mainz)

 

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