Teneriffa | Geschichte & Geschichten

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Kartoffelrevolution 1846 – Hunger, Protest und soziale Spannung auf Teneriffa

Kartoffelrevolution 1846 – Hunger, Protest und soziale Spannung auf Teneriffa

Hintergrund: Eine Krise trifft die Insel: Im Jahr 1846 wurde die Landwirtschaft auf Teneriffa – besonders in den fruchtbaren Gebieten rund um La Orotava, Realejo Alto und Bajo sowie Icod de los Vinos – von einer schweren Erntekrise getroffen. Die Kartoffelernte brach fast vollständig zusammen, vermutlich durch dieselbe Pilzkrankheit (Phytophthora infestans), die auch in Irland zur „Great Famine“ führte.

Die Folgen: Hunger, Arbeitslosigkeit und Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln. Während sich Großgrundbesitzer und Händler mit Vorräten eindeckten oder exportierten, litten Tagelöhner und Kleinbauern unter echter Not. Die soziale Ungleichheit spitzte sich zu.

Der Aufstand in La Orotava

In La Orotava kam es im Juli 1846 zu heftigen Protesten. Bauern und arme Stadtbewohner versammelten sich auf dem Hauptplatz, forderten Brot und gerechte Verteilung von Lebensmitteln, griffen Lagerhäuser an und verwüsteten die Häuser einiger reicher Landbesitzer, die sie als Verantwortliche für die Missstände ansahen.

Berichte aus der Zeit beschreiben, dass der Aufstand eine ungewöhnlich breite Beteiligung hatte – von Landarbeitern über Handwerker bis hin zu Frauen und Jugendlichen. Es war kein organisierter Umsturzversuch, sondern eine spontane soziale Explosion.

Reaktion der Behörden

Die lokale Militär- und Zivilverwaltung reagierte zunächst zögerlich, dann mit massiver Repression. Mehrere Dutzend Personen wurden verhaftet, einige flohen in die Berge, andere wanderten später aus – viele nach Kuba oder Venezuela.

Die Ereignisse wurden in der lokalen Presse kleingeredet oder gar nicht dokumentiert, um die „öffentliche Ordnung“ nicht weiter zu destabilisieren. Historiker mussten sich daher meist auf Pfarrarchive, Briefe und mündliche Überlieferung stützen.

Warum „Kartoffelrevolution“?

Der Name ist spöttisch und volkstümlich – nicht offiziell. In manchen Quellen heißt es einfach „Revueltas populares de 1846“ (Volksaufstände von 1846). Der Begriff „Revolución de las Papas“ wurde später geprägt, um den symbolischen Auslöser – den Mangel an Kartoffeln – in den Vordergrund zu stellen.

Langfristige Folgen

Die Unruhen trugen zur Landflucht bei, besonders in Richtung Südamerika.

Sie zeigten, wie instabil das koloniale Agrarsystem der Kanaren war – abhängig von wenigen Exportprodukten und stark von sozialen Spannungen geprägt.

Es war ein Vorläufer für spätere Proteste im 19. Jahrhundert, etwa gegen Steuerlasten, Handelsmonopole und Großgrundbesitz.

Quellen und weitere Informationen:

  • Francisco Fariña Pestano: "La Orotava y las revueltas populares del siglo XIX", Ediciones Idea, 2008
  • Museo de Historia y Antropología de Tenerife (Casa Lercaro) – Ausstellung „Revueltas y resistencia en Canarias“
  • Archivo Histórico de La Orotava: Pfarrprotokolle und Gemeindeschreiben aus 1846
  • Universidad de La Laguna – Abteilung für Geschichte: Forschungsarbeiten über ländliche Bewegungen im 19. Jh.

Die „Kartoffelrevolution“ von 1846 auf Teneriffa war kein isoliertes Ereignis, sondern Ausdruck tiefer sozialer Spannungen, die durch Hunger und Ungleichheit ausgelöst wurden. Dass diese kleine, fast vergessene Revolte heute wieder erwähnt wird, zeigt: Geschichte beginnt oft dort, wo Menschen sich wehren, weil sie nichts mehr zu verlieren haben.

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