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Versklavt vor der Eroberung – Die frühen Menschenraubzüge auf den Kanaren
Wenn von der kastilischen Eroberung der Kanaren gesprochen wird, beginnt die Erzählung meist im späten 15. Jahrhundert – mit königlichen Befehlshabern, militärischer Gewalt und missionarischem Eifer. Doch die Geschichte der Gewalt gegen die Ureinwohner begann weit früher. Bereits im 14. Jahrhundert wurden Guanchen und andere Inselbewohner entführt, versklavt und verkauft – lange bevor die Inseln politisch oder religiös unterworfen wurden.
Mallorquiner, Genuesen und Portugiesen – die ersten Eindringlinge
Ab den 1320er-Jahren tauchen in italienischen und mallorquinischen Quellen Berichte über Handelsfahrten ins westliche Atlantikgebiet auf. Spätestens 1341 entsandte der portugiesische König Afonso IV. eine Expedition unter genuesischer Leitung zu den Kanaren. Ziel war die Erkundung möglicher Handelswege – doch schon diese frühen Kontakte waren von Gewalt geprägt.
Zeitgenössische Aufzeichnungen berichten davon, dass Inselbewohner mit List oder Gewalt gefangen genommen und auf europäischen Sklavenmärkten verkauft wurden. Besonders betroffen waren Lanzarote, Fuerteventura und La Gomera – Inseln mit geringer Verteidigung und isolierten Siedlungsformen.
Menschenjagd als Geschäftsmodell
Während in Mitteleuropa theologische Debatten über Sklaverei geführt wurden, florierte der Menschenhandel im atlantischen Raum. Sklaven aus Nordafrika, Schwarzafrika – und von den Kanaren – wurden in Sevilla, Lissabon, Marseille und Genua gehandelt. Kanarische Ureinwohner galten als heidnisch, weißhäutig und kräftig – eine Kombination, die sie auf dem Markt begehrt machte.
Die Kirchenlehre gestattete die Versklavung von Nicht-Christen. Mönchsorden wie die Mercedarier oder Dominikaner rechtfertigten den Handel mit religiösem Eifer. In der Praxis verschwammen Mission, Handel und Gewalt zu einer fließenden Einheit.
Völkerverschleppung ohne Krieg
Diese frühen Menschenraubzüge fanden ohne Eroberung statt. Es gab keine offiziellen Kriege, keine Herrschaftsübernahme – nur Überfälle. Besonders Frauen und Kinder wurden bevorzugt verschleppt. Die Expedition von Nicoloso da Recco im Jahr 1341 dokumentiert angeblich nur Beobachtungen, erwähnt aber mehrfach die „Befragung“ und „Mitnahme“ von Einheimischen – ein Euphemismus für Entführung.
Aus italienischen Chroniken und portugiesischen Logbüchern geht hervor, dass ganze Familienverbände verschwanden. Die Inselbewohner entwickelten daraufhin Strategien des Rückzugs in schwer zugängliche Gebiete – doch der Kontakt zur Außenwelt blieb nicht mehr kontrollierbar.
Spuren in europäischen Archiven
In portugiesischen Handelsverzeichnissen sind ab etwa 1350 Verkäufe kanarischer Sklaven nachweisbar. Auch in Sevilla lassen sich kanarische Namen unter den Besitzlisten wohlhabender Händler finden. In einem Auszug aus dem „Libro de los Repartimientos“ tauchen mehrere Personen aus La Gomera und Lanzarote als Eigentum von Adligen auf.
Als Jean de Béthencourt 1402 Lanzarote für Kastilien einnahm, traf er nicht mehr auf eine intakte indigene Bevölkerung. Die meisten freien Bewohner waren verschleppt oder bereits Teil der ersten Sklavengeneration auf dem Festland.
Ein verdrängter Teil der Erinnerung
Die frühe Sklaverei auf den Kanaren wird in heutigen Schul- und Geschichtsbüchern meist übergangen. Der Fokus liegt auf der kastilischen Eroberung ab 1479. Dabei hatte die ökonomisch motivierte Versklavung bereits hundert Jahre zuvor die sozialen und kulturellen Strukturen vieler Inseln erschüttert.
Diese Phase war keine Randerscheinung. Sie war der Auftakt zu einer kolonialen Ordnung, die die Inseln ihrer Selbstbestimmung beraubte – lange bevor jemand mit einer Flagge kam.
Quellen und weiterführende Informationen
- „Crónica de la expedición de Nicoloso da Recco“, 1341 (Archivio di Stato di Genova)
- „Libro de los Repartimientos“, Archivo General de Indias (Sevilla)
- Manuel Lobo Cabrera: La esclavitud en Canarias (Ed. Idea, 2007)
- Guillermo Luis Díaz Cutillas: Historia general de las Islas Canarias, Tomo I (1981)
- José Farrujia de la Rosa: Identidades en conflicto: Memoria, arqueología y colonialismo en Canarias (2014)
- Actas del Congreso Internacional sobre la Esclavitud Atlántica (La Laguna, 2002)
- Archivberichte der Casa de la Contratación de Indias (15. Jh., Sevilla)
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