Teneriffa | Geschichte & Geschichten

Franco auf Teneriffa – Kontrolle, Repression und Erinnerung
Ein autoritäres System im Atlantik
Die Franco-Diktatur (1939–1975) hat das moderne Spanien tief geprägt – und auch auf Teneriffa und den übrigen Kanarischen Inseln dunkle Spuren hinterlassen. Politische Unterdrückung, kulturelle Zensur und soziale Kontrolle bestimmten den Alltag. Was heute als Urlaubsparadies gilt, war einst ein Schauplatz von Angst, Schweigen und – trotz allem – stillem Widerstand. Dieser Beitrag beleuchtet die spezifischen Auswirkungen der franquistischen Herrschaft auf Teneriffa: ihre Mechanismen, die Repression – und den Mut derjenigen, die sich ihr entgegengestellt haben.
Teneriffa im Spanischen Bürgerkrieg: Vorspiel zur Diktatur
Schon vor Beginn der Diktatur war die Insel kein unbeschriebenes Blatt. Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) war Teneriffa tief gespalten. Zwar wurde Franco 1936 auf der Insel inhaftiert – doch seine Unterstützer ermöglichten ihm die Flucht nach Marokko, von wo aus er den Militärputsch koordinierte.
Die Insel war strategisch bedeutsam, nicht nur geografisch, sondern auch symbolisch: Die frühe republikanische Unterstützung auf Teneriffa wurde vom späteren Regime nicht vergessen – und sollte mit besonderer Härte „korrigiert“ werden.
Die Etablierung der Diktatur auf Teneriffa
Nach dem Bürgerkrieg festigte Franco seine Macht und baute ein autoritäres System auf, das tief in Verwaltung, Sicherheitsapparat und Gesellschaft hineinreichte. Teneriffa wurde von Beginn an streng kontrolliert: Funktionäre des Regimes ersetzten lokale Verwaltungen, die Guardia Civil übernahm die polizeiliche Kontrolle, und politische Loyalität war der neue Schlüssel zum sozialen Aufstieg.
Ein Klima des Misstrauens breitete sich aus: Überwachung, Denunziation und Angst waren feste Bestandteile des Alltags. Die administrative Struktur war darauf ausgelegt, jede Form von Widerstand im Keim zu ersticken.
Soziale und wirtschaftliche Folgen: Verarmung und Entwurzelung
Die wirtschaftliche Situation auf Teneriffa verschlechterte sich in den 1940er Jahren massiv. Landwirtschaftliche Betriebe wurden durch staatliche Eingriffe geschwächt, lokale Märkte durch Zentralisierung zerstört.
Zudem litt die Insel unter der Isolation vom europäischen Markt, was zu Engpässen bei Lebensmitteln, Medikamenten und Konsumgütern führte. Arbeitslosigkeit, Mangel und Emigration prägten die Nachkriegsjahre. Viele verließen die Insel Richtung Venezuela, Kuba oder Lateinamerika – in der Hoffnung auf ein Leben jenseits von Armut und Kontrolle.
Politische Repression: Schweigen als Überlebensstrategie
Die politische Verfolgung war umfassend. Oppositionelle wurden systematisch verhaftet, gefoltert oder verschwanden spurlos. Die Guardia Civil und die faschistische Partei Falange Española agierten mit extremer Brutalität, unterstützt von der Geheimpolizei (Servicio de Información de la Guardia Civil), die ein dichtes Netz an Spitzeln spannte.
Der Alltag war geprägt von Angst: Nachbarn spionierten einander aus, missliebige Lehrer, Intellektuelle oder Gewerkschafter wurden entlassen oder inhaftiert. Schon ein missverstandener Satz konnte zur Verhaftung führen – das Resultat war eine Gesellschaft im Flüsterton.
Zensur und kulturelle Kontrolle: Eine Insel ohne Stimme
Auch die kulturelle Identität Teneriffas wurde systematisch unterdrückt. Zeitungen, Theaterstücke, Lieder und Bücher unterlagen strenger Zensur. Alles, was von offizieller Linie abwich, wurde unterdrückt oder umgedeutet.
Lokale Traditionen wurden staatlich instrumentalisiert und auf nationalistische Narrative umgepolt. Künstler, die sich nicht beugten, verloren ihre Arbeitsmöglichkeiten – oder verschwanden ganz von der Bildfläche. Dennoch entstanden Werke mit subtilen Botschaften des Widerstands, in denen sich das Publikum zwischen den Zeilen wiederfand.
Widerstand in der Universität und im Alltag
Trotz der Repression blieb stilles Aufbegehren lebendig – insbesondere in akademischen Kreisen. Die Universidad de La Laguna wurde zu einem Zentrum des intellektuellen Widerstands: In geheimen Treffen, Diskussionen und durch zensierte Lektüre verteidigten Studierende und Lehrende das kritische Denken.
Darüber hinaus gab es kleine Widerstandsgruppen, die Flugblätter druckten, Exilnetzwerke unterstützten oder Demonstrationen organisierten. Ihre Mittel waren begrenzt, ihre Wirkung oft lokal – doch sie trugen das Feuer des Widerspruchs weiter.
Kanarischer Nationalismus: Identität unter Verdacht
Der franquistische Zentralismus duldete keine regionale Identität. Wer sich zur kanarischen Eigenständigkeit bekannte, galt als Separatist – und wurde verfolgt. Kanarische Nationalisten, die sich für kulturelle Autonomie oder soziale Gerechtigkeit einsetzten, wurden überwacht, inhaftiert oder ins Exil gedrängt.
Ihre Ideen überlebten im Untergrund und wurden später zu einem Teil des demokratischen Neubeginns – etwa durch Gruppen wie die Movimiento por la Autodeterminación e Independencia del Archipiélago Canario (MPAIAC) in den 1970er Jahren.
Die Rolle der Frauen im Widerstand: Die stillen Heldinnen
Frauen hatten unter Franco eine klar definierte Rolle: gehorsam, häuslich, angepasst. Doch gerade sie leisteten Widerstand – oft im Verborgenen. Sie verbargen politische Schriften, organisierten Treffen, waren Boten, Helferinnen, Informantinnen. Viele Frauen auf Teneriffa trugen wesentlich dazu bei, das Rückgrat der Widerstandsbewegung zu bilden – still, aber entscheidend.
Repression durch Folter, Haft und psychologischen Terror
Die Haftanstalten auf Teneriffa – etwa in Santa Cruz oder La Laguna – wurden zu Orten systematischer Folter. Gefangene wurden geschlagen, erniedrigt, psychisch gebrochen. Auch Frauen waren Ziel dieser Gewalt: Sexuelle Übergriffe und entwürdigende Behandlungen gehörten zur Taktik.
Bis heute berichten Überlebende von diesen Erfahrungen – viele leiden noch immer unter psychischen Folgen. Die Angst jener Jahre hat sich tief ins kollektive Bewusstsein der Insel eingeschrieben.
Aufarbeitung und Erinnerungskultur: Ein langsamer Weg
Nach Francos Tod begann Spanien den schwierigen Weg der „Transición“, des Übergangs zur Demokratie. Doch während politische Reformen eingeführt wurden, blieb die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Regimes lange unvollständig – auch auf Teneriffa.
Inzwischen gibt es zivilgesellschaftliche Gruppen und Gedenkinitiativen, die sich für Aufklärung, Gerechtigkeit und Gedenken einsetzen. Gedenkstätten, Publikationen, Zeitzeugengespräche und Bildungsprojekte leisten wichtige Arbeit – doch viele Opfer warten bis heute auf Anerkennung.
Der lange Schatten der Diktatur
Die Franco-Diktatur hinterließ auf Teneriffa nicht nur Wunden, sondern auch eine tiefgreifende Transformation der Gesellschaft. Die Jahre des Schweigens, der Angst und der Unterdrückung wirken bis heute nach. Doch zugleich lebt die Erinnerung – in Erzählungen, Gedenkorten, Kunstwerken und der Arbeit unzähliger Initiativen.
Teneriffa trägt diese Geschichte nicht nur als Bürde, sondern auch als Mahnung: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss verteidigt, erinnert und immer wieder neu belebt werden.
Quellenangaben
- Preston, Paul. Der große Verrat: Wie Spanien seine Vergangenheit verdrängt. Berlin Verlag, 2020.
- Espinosa, Francisco. Contra el olvido: Historia y memoria de la represión franquista. Editorial Crítica, 2006.
- Domínguez, Sebastián. La represión en Canarias durante el franquismo. Universidad de La Laguna, 2015.
- Archivo de la Memoria Histórica de Canarias.
- Cabildo de Tenerife – Proyecto de Memoria Histórica.
- Fundación Canaria para la Memoria Histórica. Dokumentation zu Fällen von Repression und Exil.
- Ministerio de la Presidencia (España). Ley de Memoria Democrática, 2022.
- Zeitzeugeninterviews aus: "La Transición en Canarias", RTVE Canarias (Dokumentation, 2023).
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