Teneriffa | Geschichte & Geschichten

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François Le Clerc – Piratenlegende mit Holzbein

François Le Clerc – Piratenlegende mit Holzbein

In einer Epoche, geprägt von erbitterten Machtkämpfen zwischen europäischen Kolonialmächten und der blutigen Erschließung der Neuen Welt, sticht die Gestalt François Le Clercs – besser bekannt als Jambe de Bois („Holzbein“) – besonders hervor. Als einer der ersten französischen Freibeuter, der die Karibik unsicher machte, wurde Le Clerc berühmt-berüchtigt für seine kühnen Überfälle, sein strategisches Geschick – und seine auffällige körperliche Behinderung. Dieser Artikel zeichnet sein Leben und Wirken nach, mit besonderem Augenmerk auf seinen spektakulären Angriff auf die kanarische Stadt Adeje auf Teneriffa – ein Beispiel für seine Furchtlosigkeit und taktische Raffinesse.

Frühes Leben und Beginn der Piratenkarriere

François Le Clerc wurde um 1510 vermutlich in der Normandie geboren – einer Region, deren maritimer Charakter und lange Tradition von Seefahrern zahlreiche junge Männer anlockte, ihr Glück auf See zu suchen. Zwar sind genaue Informationen über seine Jugend rar, doch vieles spricht dafür, dass er aus einer seefahrerischen Familie stammte, was seinen Weg in die Welt der Freibeuter mitgeprägt haben dürfte (vgl. Konstam, 2007, S. 45).

Im 16. Jahrhundert war Piraterie – insbesondere in Form der Kaperfahrt – eine von vielen europäischen Staaten halb geduldete, teils sogar geförderte Tätigkeit. Besonders Frankreich und England unterstützten Freibeuter indirekt, um den wirtschaftlichen Einfluss Spaniens zu schwächen, ohne offiziell in einen Krieg einzutreten. Le Clerc trat vermutlich in den Dienst als französischer Kaperkapitän (corsaire) und nahm bald aktiv an den Angriffen auf spanische Schiffe teil (vgl. Marley, 2010, S. 185–186).

Der Verlust seines Beines

Während eines Gefechts mit einem spanischen Schiff – mutmaßlich in den frühen 1540er Jahren – verlor Le Clerc ein Bein. Die genauen Umstände sind nicht überliefert, doch der Verlust hinderte ihn nicht an seiner Karriere. Er ließ sich ein hölzernes Bein anfertigen, was ihm den berüchtigten Spitznamen Jambe de Bois einbrachte. Statt sich zurückzuziehen, kehrte Le Clerc mit noch größerem Eifer zur Piraterie zurück – sein Holzbein wurde bald zum Symbol seiner Unerschrockenheit und Entschlossenheit (vgl. Cordingly, 2006, S. 63).

Aufstieg zur Legende

Nach seiner Verletzung sammelte Le Clerc eine Mannschaft von erfahrenen Freibeutern um sich und wurde schnell zu einem der gefürchtetsten Piratenführer der Karibik. Seine Angriffe auf spanische Galeonen und Küstensiedlungen zeigten ein tiefes Verständnis maritimer Kriegsführung. Gleichzeitig entwickelte sich bei ihm ein ausgeprägter Hass auf die spanischen Kolonialherren – sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch wegen der Brutalität, mit der diese gegen indigene Völker und Freibeuter vorgingen (vgl. Lane, 1998, S. 217–218).

Der Angriff auf Adeje (Teneriffa)

Einer der bekanntesten Angriffe François Le Clercs war der Überfall auf die spanische Siedlung Adeje auf Teneriffa im Jahr 1553. Die Kanarischen Inseln lagen strategisch günstig auf der Route zwischen Europa und den spanischen Kolonien – und waren daher ein lohnendes Ziel.

Vorbereitung des Angriffs

Le Clerc plante den Angriff mit militärischer Präzision. Er analysierte die Gegebenheiten vor Ort: Gezeiten, Patrouillen, Küstenlinie und Topografie. Sein Plan beruhte auf dem Überraschungsmoment – ein nächtlicher Angriff bei ruhiger See. Diese Taktik entsprach seinem bevorzugten Muster: heimlich landen, schnell zuschlagen, rasch verschwinden.

Durchführung des Überfalls

In der Nacht landeten Le Clerc und seine Männer in kleinen Booten unbemerkt an der Küste. Die überraschten spanischen Wachen konnten dem Angriff wenig entgegensetzen. Die Piraten plünderten die Siedlung, raubten Wertgegenstände, Vorräte und Waffen, bevor sie sich wieder auf ihre Schiffe zurückzogen. Der Angriff war kurz, heftig – und ein voller Erfolg (vgl. Marley, 2010, S. 186).

Auswirkungen

Die Nachricht verbreitete sich rasch in Europa und sorgte in Spanien für Aufsehen. Der Überfall galt als klare Warnung, dass auch abgelegene spanische Außenposten nicht mehr sicher waren. Für Le Clerc war es ein weiterer Beweis seiner militärischen Raffinesse und seines unerschütterlichen Mutes.

Weitere bedeutende Überfälle

Die Plünderung von Santiago de Cuba (1554)

Ein Jahr nach dem Angriff auf Teneriffa griff Le Clerc – zusammen mit englischen Piraten wie John Lovell – die Stadt Santiago de Cuba an. Trotz der starken Befestigungen gelang es ihm, die Stadt zu plündern und in Brand zu setzen. Die Angreifer erbeuteten große Mengen Gold und andere Schätze. Dieser Angriff war nicht nur wegen des materiellen Gewinns bedeutend, sondern auch wegen seines psychologischen Effekts auf die spanischen Kolonien (vgl. Cordingly, 2006, S. 101–102).

Strategien und Taktiken

Le Clerc war ein Meister der asymmetrischen Seekriegsführung. Er setzte auf Überraschung, Schnelligkeit und Nachtoperationen – ein Konzept, das seiner Zeit weit voraus war. Zudem war er ein hervorragender Navigator, der die Geografie der Karibik und des Atlantiks nutzte, um seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein.

Einfluss auf nachfolgende Piraten

Sein taktisches Vorgehen und seine Entschlossenheit beeinflussten spätere Piraten wie Henry Morgan oder Bartholomew Roberts. Le Clercs Methoden – insbesondere das Zusammenspiel aus militärischer Disziplin und improvisierter Brutalität – wurden von diesen weiterentwickelt und professionalisiert. So gilt Le Clerc als früher Wegbereiter der sogenannten "Goldenen Ära der Piraterie".

Spätes Leben und Erbe

Über Le Clercs letztes Lebenskapitel ist wenig bekannt. Einige Quellen vermuten, dass er sich nach 1560 in der Karibik oder in Westafrika niederließ. Wahrscheinlich starb er um 1563 während eines Gefechts nahe den Azoren. Manche Berichte deuten an, dass er versuchte, sich als Söldner oder Händler zur Ruhe zu setzen, doch gesichert ist dies nicht (vgl. Gosse, 1924, S. 94–95).

Vermächtnis

François Le Clerc war mehr als ein einfacher Pirat. Er war ein Pionier, ein Anführer und ein Symbol für den Übergang von improvisierter Kaperfahrt hin zur organisierten, strategischen Piraterie. Sein Spitzname Jambe de Bois wurde zu einem Sinnbild für Unbeugsamkeit – eine Figur zwischen Mythos und Realität, deren Leben bis heute Stoff für Legenden liefert.

Literaturverzeichnis / Quellen:
  • Cordingly, David: Under the Black Flag: The Romance and the Reality of Life Among the Pirates, Harcourt, 2006.
  • Konstam, Angus: Piracy: The Complete History, Osprey Publishing, 2007.
  • Marley, David F.: Pirates of the Americas, ABC-CLIO, 2010.
  • Lane, Kris E.: Pillaging the Empire: Piracy in the Americas 1500–1750, M.E. Sharpe, 1998.
  • Gosse, Philip: The History of Piracy, London: The Nautical Publishing Company, 1924.
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