Teneriffa | Geschichte & Geschichten

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Die Wiederentdeckung der Kanarischen Inseln – von der antiken Vorstellung zur europäischen Integration

Die Wiederentdeckung der Kanarischen Inseln – von der antiken Vorstellung zur europäischen Integration

Die Kanarischen Inseln sind heute ein selbstverständlicher Teil Spaniens – geographisch nah an Afrika, kulturell tief verwurzelt im europäischen Raum, mit historischen Verbindungen bis nach Lateinamerika. Doch ihre Einbindung in die europäische Ordnung war ein langer, komplexer Prozess, der keineswegs friedlich verlief.

Er begann nicht mit Dialog, sondern mit Neugier, wirtschaftlichen Interessen, religiösem Eifer – und schließlich mit politischer Macht.

Antikes Wissen – mittelalterliches Vergessen

Bereits in der Antike war die Existenz der Inseln bekannt. Griechisch-römische Autoren wie Plinius der Ältere, Pomponius Mela oder der mauretanische König Juba II. beschrieben Inseln vor der nordwestafrikanischen Küste – oft als die „Glücklichen Inseln“ (Fortunatae Insulae), ein paradiesischer Ort am Rand der bekannten Welt.

Mit dem Zerfall des Weströmischen Reiches verschwand dieses Wissen aus dem europäischen Bewusstsein. Erst im späten Mittelalter, als sich europäische Seefahrt und Welterkundung wieder intensivierten, gerieten die Kanaren erneut ins Blickfeld. Der Impuls kam dabei nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern vor allem aus wirtschaftlichen und religiösen Motiven.

Lancelotto Malocello und die Rückkehr Europas in den Atlantik

Ein Meilenstein dieser erneuten „Entdeckung“ war die Ankunft des genuesischen Seefahrers Lancelotto Malocello auf Lanzarote – vermutlich um das Jahr 1312. Seine Reise markiert einen Wendepunkt: Sie war Teil einer wachsenden maritimen Neugier europäischer Handelsmächte wie Genua, Portugal oder Mallorca.

Malocello soll über ein Jahrzehnt auf der Insel gelebt haben, bis es zu Auseinandersetzungen mit der indigenen Bevölkerung kam. Der Name „Lanzarote“ geht auf ihn zurück – ein dauerhaftes Echo dieser ersten mittelalterlichen Begegnung.

Doch Malocellos Expedition war nicht isoliert, sondern eingebettet in eine dynamische Phase atlantischer Erkundung, in der sich die Vorstellung Europas von der Welt deutlich erweiterte.

Ein Fürstentitel vom Papst – der erste politische Anspruch

Mit der Bulle Regimini gregis setzte Papst Clemens VI. im Jahr 1344 ein symbolisches Zeichen: Er übertrug dem französisch-spanischen Adligen Luis de la Cerda den Titel eines „Fürsten der Glücklichen Inseln“.

Dieser Akt war kein leeres Ritual, sondern der Versuch, kirchlichen Einfluss auf die Region auszuweiten – mit dem erklärten Ziel, die indigene Bevölkerung zu bekehren und in eine christliche Ordnung zu integrieren.

Tatsächlich aber blieb das „Fürstentum“ ein Projekt auf dem Papier. Die Kanaren waren zu diesem Zeitpunkt weder militärisch erobert noch politisch kontrollierbar. Der päpstliche Vorstoß markiert dennoch den Beginn eines wachsenden Interesses kirchlicher wie weltlicher Mächte an der Inselgruppe.

Die kastilisch-normannische Eroberung ab 1402

Erst knapp sechzig Jahre später begannen tatsächliche territoriale Eingriffe: 1402 startete der normannische Adlige Jean de Béthencourt im Auftrag der kastilischen Krone eine Eroberungsfahrt zu den Kanaren.

Lanzarote wurde als erstes Ziel militärisch gesichert, kurz darauf folgten Fuerteventura und El Hierro. Béthencourt unterstellte sich formal dem kastilischen König, regierte jedoch mit weitreichender Autonomie.

Die Eroberung war nicht nur ein militärisches Unternehmen, sondern wurde eng von der Kirche begleitet – vor allem durch franziskanische Missionare, die die Christianisierung der Inselbewohner vorantrieben.

Diese Phase markierte den Beginn einer dauerhaften europäischen Präsenz auf den Kanaren.

Kirchliche Weichenstellungen: Das Konzil von Konstanz

Auch wenn die Kanaren auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) nicht im Mittelpunkt standen, wurde hier der Rahmen für spätere kirchenpolitische Entwicklungen gesetzt.

Diskutiert wurden unter anderem die Zuständigkeiten bei der Missionierung neuer Gebiete, die Einsetzung von Bischöfen in bislang nichtchristlichen Regionen und die Rolle des Papstes bei der Vergabe kolonialer Rechte.

Papst Martin V., der aus dem Konzil hervorging, bestätigte schließlich den kastilischen Anspruch auf die Inseln – ein kirchenpolitischer Rückenwind für die weitere Expansion.

Portugal gegen Kastilien: Ein Streit um Glauben und Geografie

Die Kanarischen Inseln wurden bald zum Gegenstand eines machtpolitischen Konflikts zwischen Kastilien und Portugal. Beide Königreiche sahen sich im Recht: Portugal aufgrund geografischer Nähe und eigener Expeditionen (etwa 1341), Kastilien aufgrund der päpstlichen Legitimation und bereits vollzogener Besetzung.

Mehrere päpstliche Vermittlungsversuche führten zu einem Kompromiss: Die Kanaren wurden Kastilien zugesprochen, während Portugal sich auf Madeira, die Azoren und später weitere Teile Westafrikas konzentrierte.

Die Auseinandersetzung verdeutlicht, wie sehr religiöse Legitimation und machtpolitische Interessen ineinandergriffen.

Kirchliche Strukturen: Vom Missionsauftrag zur Diözese

Parallel zur militärischen Expansion wurden erste kirchliche Strukturen auf den Inseln etabliert:

  • 1404 entstand auf Lanzarote das erste Bistum: San Marcial del Rubicón.
  • 1424 folgte das Bistum Telde auf Gran Canaria – allerdings blieb es rein theoretisch.
  • 1486 wurde mit dem Bistum Canarias in Las Palmas schließlich eine dauerhafte und institutionell verankerte Diözese eingerichtet.
  • 1819 kam mit dem Bistum San Cristóbal de La Laguna auf Teneriffa eine zweite Diözese hinzu – zur besseren Organisation kirchlicher Aufgaben.

Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die kirchliche Integration nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern ein zentraler Bestandteil der kolonialen Ordnung war.

Folgen für die indigene Bevölkerung

Für die Ureinwohner der Kanaren – die Guanchen, Bimbaches und andere Gruppen – bedeutete die europäische Eroberung tiefgreifende Umbrüche.

Ihre gesellschaftlichen Strukturen wurden zerschlagen, viele Menschen versklavt, getauft oder zwangsumgesiedelt. Der Widerstand, etwa auf Teneriffa, wurde mit Gewalt gebrochen.

Zwar hinterließen sie Spuren in der Kultur und Sprache der heutigen Bevölkerung, doch viele ihrer Traditionen gingen unwiederbringlich verloren.

Die Mission, so religiös sie auch formuliert war, bedeutete letztlich eine umfassende kulturelle Entwurzelung.

Ein Vorbote kolonialer Globalisierung

Die mittelalterliche „Wiederentdeckung“ und spätere Eroberung der Kanarischen Inseln war kein singuläres Ereignis, sondern Teil eines umfassenden Wandels im europäischen Weltbild.

Die Rolle des Papsttums, die Konflikte zwischen den Monarchien und die religiöse Begründung für territoriale Expansion zeigen eindrücklich, wie sehr Glaube, Macht und geopolitische Interessen miteinander verflochten waren.

Die Kanaren wurden zu einem frühen Schauplatz jener Mechanismen, die später auch in Amerika und Afrika zum Tragen kamen – mit vergleichbaren Konsequenzen für Kultur, Bevölkerung und Geschichte.

Weiterführende Literatur und Quellen

  • Horst Sigl: Kirche und Kolonialismus. Die Missionierung der Kanarischen Inseln im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1993.
  • James Muldoon: The Spiritual Crusade and the Discovery of the New World, Philadelphia 1977.
  • Felipe Fernández-Armesto: Before Columbus. Exploration and Colonization from the Mediterranean to the Atlantic 1229–1492, University of Pennsylvania Press, 1987.
  • Ricardo Martínez: El litigio entre Portugal y Castilla por las Islas Canarias, Revista de Historia Canaria, 1990.
  • Archivo Histórico Diocesano de Canarias
  • Archivo General de Indias, Sevilla
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