Teneriffa | Geschichte & Geschichten

Teneriffas verborgene Vergangenheit: Frühzeitliche Besiedlung vor den Guanchen
Jahrzehntelang galt als gesichert, dass die Guanchen – die Ureinwohner Teneriffas – die ersten menschlichen Siedler der Insel waren. Doch neue Erkenntnisse aus Archäologie, Genetik, Anthropologie und Radiokarbondatierung zeichnen ein differenzierteres Bild. Hinweise verdichten sich, dass bereits vor der Ankunft der Guanchen Menschen auf Teneriffa lebten – vermutlich mit anderen kulturellen Merkmalen und möglicherweise eigenständigen Migrationswellen aus Nordafrika. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen wissenschaftlichen Hinweise auf eine prähistorische Besiedlung Teneriffas vor den Guanchen.
Radiokarbondatierungen: Zeitfenster in die Frühzeit
Radiokarbondatierungen sind eine zentrale Methode zur Altersbestimmung organischer Materialien. Bei Ausgrabungen auf Teneriffa wurden Holzkohlereste, Knochenfragmente und pflanzliche Überreste untersucht. Einige dieser Funde, etwa aus der Höhle von Los Balos (Südteneriffa), wurden auf das 3. Jahrtausend v. Chr. datiert – also über 2.000 Jahre vor der traditionellen Ankunft der Guanchen.
Auch in La Fortaleza im Süden der Insel deuten radiokarbonisch datierte Sedimente auf eine kontinuierliche Nutzung des Ortes bereits ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. hin. Solche Funde stellen die bisherige Annahme in Frage, dass die Insel erst im 1. Jahrtausend v. Chr. dauerhaft besiedelt wurde.
Anthropologische Funde: Unterschiede zu den Guanchen
Knochenauswertungen aus Höhlen wie Guayota (Nordost-Teneriffa) weisen auf Unterschiede im Skelettbau, der Körpergröße und in Zahnmustern hin. Diese Abweichungen von typischen Guanchen-Profilen könnten auf eine andere Herkunftsgruppe oder frühe Migrationsbewegung hinweisen.
Untersuchungen durch Forscher der Universität Barcelona zeigen zudem abweichende Spuren von Ernährung, etwa auf pflanzenbasierte Nahrung oder maritime Ressourcen, was eine unterschiedliche Lebensweise vor der guanchischen Viehwirtschaft nahelegt.
Genetische Spuren: Wurzeln in Nordafrika
Genanalysen prähistorischer Überreste auf Teneriffa und benachbarten Inseln zeigen klare Verbindungen zu Amazigh-Völkern (Berbern) Nordafrikas. Mitochondriale DNA-Profile (insbesondere Haplogruppen U6 und M1) weisen auf mehrere Migrationsphasen aus Nordwestafrika in prähistorischer Zeit hin.
Studien von Maca-Meyer et al. und dem Max-Planck-Institut legen nahe, dass nicht nur eine, sondern mehrere Siedlungswellen die Besiedlung der Kanaren geprägt haben könnten – darunter möglicherweise vor-guanchische Populationen, die später durch nachfolgende Gruppen verdrängt oder assimiliert wurden.
Archäologische Hinweise: Werkzeuge, Wohnstätten, Rituale
Funde aus verschiedenen Regionen Teneriffas, etwa Anaga, Ifonche oder El Médano, umfassen Werkzeuge aus Obsidian, Basalt und Knochen sowie Reste von Wohnplätzen und Feuerstellen. Besonders aufschlussreich sind Fundstellen wie La Fortaleza, wo mehrphasige Nutzungsschichten über Jahrhunderte nachgewiesen wurden.
In den Höhlen von Anaga entdeckten Archäologen Spuren von Begräbnissen und rituellen Aktivitäten, die teilweise von späteren guanchischen Praktiken abweichen. Diese Hinweise deuten auf eine möglicherweise frühere spirituelle Kultur mit eigenen sozialen Strukturen.
Historische Hinweise: Antike und mittelalterliche Berichte
Die ältesten schriftlichen Hinweise auf die Kanarischen Inseln stammen aus der "Naturalis Historia" von Plinius dem Älteren (1. Jh. n. Chr.), der von "glücklichen Inseln" westlich Afrikas spricht, die von wilden Tieren und vereinzelten Menschen bewohnt seien.
Der arabische Geograph Al-Idrisi erwähnt im 12. Jahrhundert Inseln mit "stillen Bewohnern", die keine Schrift, aber einfache Formen der Gemeinschaft und Landwirtschaft pflegten. Zwar spekulativ, geben solche Berichte doch Hinweise darauf, dass die Vorstellung von einer frühen Besiedlung weit vor der spanischen Eroberung existierte.
Eine ältere Besiedlung Teneriffas ist wahrscheinlich
Die Ergebnisse moderner Wissenschaft sprechen dafür, dass Teneriffa länger und vielfältiger besiedelt war, als lange angenommen wurde. Radiokarbondaten, anthropologische Unterschiede, genetische Signaturen und archäologische Belege deuten auf mögliche vor-guanchische Kulturen hin, die von Nordafrika aus die Inseln erreichten – vermutlich in mehreren Wellen.
Ob diese frühen Gruppen direkte Vorläufer der Guanchen waren oder eigenständige Völker, ist noch offen. Die Forschung steht hier erst am Anfang. Doch schon jetzt ist klar: Die Geschichte Teneriffas begann nicht mit den Guanchen – sie reicht weiter zurück als bislang vermutet.
Quellen
- Maca-Meyer, N. et al. (2004): Ancient mtDNA analysis and the origin of the Guanches, European Journal of Human Genetics.
- Maca-Meyer, N. et al. (2010): Prehistoric Canary Islands: From initial colonization to regional interactions, Quaternary International.
- Farrujia de la Rosa, J. (2014): The Prehistory of the Canary Islands: New Evidence and Interpretations. Ed. BAR International Series.
- Hernández, M.S. (2000): The Guanches of Tenerife: The Last Stone Age People of Europe, Journal of Anthropological Research.
- Archäologisches Museum Teneriffa: Inventario de yacimientos arqueológicos de Tenerife.
- Universidad de La Laguna – Departamento de Prehistoria, Antropología e Historia Antigua.
- Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig: Population genetics of the Canary Islands.
- Plinius der Ältere: Naturalis Historia, Buch VI.
- Al-Idrisi (1154): Nuzhat al-Mushtaq fi Ikhtiraq al-Afaq („Die Lust des Sehnsüchtigen...“).
- Gobierno de Canarias: Patrimonio Arqueológico de Tenerife.
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