Teneriffa | Geschichte & Geschichten

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Im Namen des Glaubens – Die Kanaren unter dem Bann der Inquisition

Im Namen des Glaubens – Die Kanaren unter dem Bann der Inquisition

Die Vorstellung, dass die Kanarischen Inseln ein entlegener und vom spanischen Machtapparat kaum berührter Ort gewesen seien, gehört zu den gängigen Irrtümern der Geschichtsschreibung. Tatsächlich erreichte die religiöse Kontrolle durch die Inquisition die Inseln früh – und mit voller Wucht. Was zunächst mit dem Versuch begann, neue Untertanen zu missionieren und das Heidentum der Ureinwohner zu unterdrücken, entwickelte sich bald zu einem festen Bestandteil der institutionellen Repression.

Die Anfänge: Kontrolle durch Konversion

Schon kurz nach der kastilischen Eroberung Ende des 15. Jahrhunderts begannen geistliche Autoritäten mit der Missionierung der Guanchen. Wer getauft wurde, galt fortan nicht nur als Christ, sondern auch als Untertan der Krone. Doch die Konversion blieb oft oberflächlich – viele hielten an alten Ritualen fest oder praktizierten ihren Glauben im Verborgenen.

Um diesen vermeintlichen Rückfällen zu begegnen, entsandte die Inquisition bereits 1505 ihren ersten offiziellen Visitator nach Gran Canaria. Das Ziel: Ketzer entdecken, Altes auslöschen, den Glauben reinigen.

Ein eigenes Tribunal auf den Inseln

Im Jahr 1526 wurde in Las Palmas ein ständiges Inquisitionsgericht eingerichtet – formal Teil der Inquisition von Sevilla, aber mit eigener Zuständigkeit für den gesamten Archipel. Später gab es auch Ableger auf Teneriffa. Die Kanaren wurden damit in das Netz jener Institution eingebunden, die über Jahrhunderte hinweg Angst und Konformität verbreitete.

Im Fokus standen vor allem jene, die dem spanisch-katholischen Idealbild nicht entsprachen: Krypto-Juden, konvertierte Muslime, ausländische Seeleute, protestantische Händler – aber auch Einheimische, die sich alten Bräuchen verpflichtet fühlten.

Verfolgung, Denunziation und öffentliche Reue

Die Verfahren begannen oft mit anonymen Anzeigen. Verdächtigt wurde, wer bei Neumond in die Berge verschwand, bestimmte Kräuter nutzte oder „zu viel über die Ahnen sprach“. Frauen gerieten besonders leicht ins Visier – sei es als „Hexen“, Heilerinnen oder vermeintliche Verführerinnen. Auch Männer, die sich politisch oder wirtschaftlich zu unabhängig gaben, wurden beschuldigt, ketzerische Gedanken zu verbreiten.

Die Strafen reichten von öffentlicher Buße bis zur Verbannung, von Zwangsarbeit bis zur Verbrennung. Autodafés – öffentliche Akte der Reue – fanden auf Gran Canaria in eigens eingerichteten Arenen statt. Die letzte bekannte Verbrennung auf den Kanaren wurde 1781 in Las Palmas vollzogen – eine Frau, beschuldigt der Gotteslästerung und Zauberei.

Zwischen Kontrolle und Anpassung

Die Inquisition auf den Kanaren war nicht nur religiös motiviert, sondern auch ein Machtinstrument. Sie diente der Vereinheitlichung, der Kontrolle von Abweichlern, der Durchsetzung eines gesellschaftlichen Normkorsetts. Wer mit der Kirche kooperierte, erhielt Schutz und Einfluss. Wer widersprach, lebte gefährlich.

Interessanterweise entwickelte sich auch ein System des Umgehens und Verschweigens. Viele Gemeinden arrangierten sich still mit lokalen Bräuchen, solange sie nicht zu auffällig praktiziert wurden. Ein zweischichtiges Weltbild entstand – katholisch nach außen, komplex im Innern.

Das lange Schweigen nach dem Ende

Die Inquisition wurde auf den Kanaren 1820 offiziell abgeschafft – als Folge der liberalen Verfassungsreformen in Spanien. Doch ihre Spuren reichen weit ins 20. Jahrhundert. Das Denken in Schuld, Verdacht und öffentlicher Schande hat sich tief eingeprägt. Viele Familien bewahrten bis in die jüngste Zeit ein bewusstes Schweigen über ihre Geschichte – aus Angst vor Stigmatisierung.

Heute erinnert wenig an diese Epoche. Die Archive sind kaum erschlossen, die Orte der Repression weitgehend verschwunden oder umgenutzt. Und doch war die Inquisition auf den Kanaren kein Randphänomen, sondern ein zentrales Kapitel der Inselgeschichte – eines, das die Vorstellung vom Paradies auf Zeit suspendierte.

Quellen und weiterführende Informationen
  • Archivo Histórico Provincial de Las Palmas: Dokumente des Tribunal del Santo Oficio de la Inquisición (1526–1820)
  • Gonzalo Aranda Pérez: La Inquisición en Canarias (Ediciones Idea, 2005)
  • Jorge Fonte: Brujería e Inquisición en Canarias (Mercurio Editorial, 2017)
  • Manuel Lobo Cabrera: El tribunal de la Inquisición en Canarias (Universidad de Las Palmas, 1999)
  • Actas del Congreso Internacional sobre la Inquisición en España (Madrid, 2004)
  • Auszüge aus den „Autos de fe“ in Las Palmas und La Laguna (17.–18. Jh.)
  • Spanisches Nationalarchiv (AGN), Sektion: Tribunales eclesiásticos
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