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Zerbrochene Freiheit – Wie Delfine und Orcas zu Showtieren gemacht werden
Orcas und Delfine gehören zu den intelligentesten, sozial komplexesten und anpassungsfähigsten Meeressäugern der Erde. Ihre Fähigkeit zur Problemlösung, Kommunikation und sozialen Bindung ist wissenschaftlich gut dokumentiert. Umso bemerkenswerter ist es, dass dieselben Tiere in Freizeitparks, Delfinarien und Wasser-Shows als „Darsteller“ auftreten, die auf Zuruf springen, „winken“ oder Pirouetten drehen. Dieses Verhalten ist kein natürlicher Ausdruck – es ist das Ergebnis systematischer Konditionierung unter kontrollierten Bedingungen.
Verhaltenskontrolle durch operante Konditionierung
Die grundlegende Methode, mit der Delfine und Orcas in Shows zu bestimmten Aktionen gebracht werden, heißt operante Konditionierung. Dabei wird Verhalten durch Verstärkung – meist in Form von Futter – geformt. Die Trainer:innen nutzen gezielte Belohnung und Reizsetzung, um gewünschte Bewegungen zu etablieren und zu stabilisieren.
Die Meeresbiologin Dr. Naomi Rose beschreibt das so:
„Das Tier springt nicht, weil es will, sondern weil es gelernt hat, dass es dafür Fisch bekommt. Es wird dazu konditioniert, auf bestimmte Signale zu reagieren – nicht auf seine Umwelt oder seine Instinkte.“
(Quelle: Animal Welfare Institute, „The Case Against Marine Mammal Captivity“, 2011)
Reduktion des natürlichen Verhaltensrepertoires
In der freien Wildbahn legen Orcas dutzende Kilometer am Tag zurück. Sie jagen in Gruppen, tauschen komplexe Rufe aus, spielen, lehren ihre Jungen und folgen innerartlichen Rollenmustern. All das ist in Gefangenschaft nicht möglich. Becken sind flach, klein und strukturlos. Nahrung wird nicht erjagt, sondern verabreicht. Sozialverhalten ist stark eingeschränkt.
Dr. Lori Marino erklärt:
„Die kognitive Kapazität von Delfinen ist enorm. Sie sind selbstbewusst, emotional und kulturell organisiert. Die Gefangenschaft zerstört diesen natürlichen Ausdruck – nicht durch Gewalt, sondern durch Reizkontrolle.“
(Quelle: Marino et al., „The Harmful Effects of Captivity on Cetaceans“, Journal of Veterinary Behavior, 2010)
Soziale Isolation als Mittel der Verhaltensformung
Orcas und Delfine leben in komplexen Sozialstrukturen mit Dialekten, Hierarchien und lebenslangen Bindungen. In Gefangenschaft werden sie oft von ihrer Familie getrennt oder mit Tieren aus fremden Populationen zusammengesetzt. Dabei fehlt die gemeinsame Kommunikationsgrundlage, was zu Frustration, Stress und Konflikten führt.
Dr. Ingrid Visser stellt fest:
„Gefangene Orcas zeigen häufig Anzeichen chronischen Stresses, Selbstverletzung, Aggression oder Lethargie – Symptome, die bei wildlebenden Tieren nur in Ausnahmesituationen auftreten.“
(Quelle: Orca Research Trust, 2009)
Nahrung als Mittel zur Steuerung
In vielen Delfinarien erhalten die Tiere ihre gesamte Tagesration nur im Zusammenhang mit Training oder Shows. Wer nicht „kooperiert“, wird nicht gefüttert, sondern muss bis zur nächsten Gelegenheit warten. Futter wird zum Kontrollinstrument. Diese Praxis ist keine direkte Strafe, wirkt aber durch den gezielten Entzug positiver Reize.
Laut IMATA:
„Alle Trainingsmethoden für Meeressäugetiere basieren auf positiver Verstärkung. Verhaltensweisen werden durch geplante Belohnungen und schrittweise Formung stabilisiert.“
(IMATA Guidelines, 2014)
Reproduktion als Fortsetzung der Verhaltenskontrolle
Viele Showtiere stammen aus Zuchtprogrammen. Diese Tiere wachsen nicht im offenen Meer auf, sondern in künstlichen Becken. Sie lernen von Beginn an, dass der Mensch der zentrale Reizgeber ist. Früh verwaiste oder von Hand aufgezogene Tiere verlieren zentrale Sozial- und Kommunikationsmuster. Was bleibt, ist ein funktionierendes Tier mit hoher Reaktionsbereitschaft – und ohne Bezug zu seinem natürlichen Verhalten.
Forschung als Rechtfertigung – ein Mythos?
Ein zentrales Argument der Delfinarien ist die angeblich wertvolle Forschung, die nur in Gefangenschaft möglich sei. Doch unabhängige Wissenschaftler widersprechen.
Dr. Lori Marino weist darauf hin:
„Verhalten, Physiologie und soziale Dynamik in Gefangenschaft unterscheiden sich signifikant von denen in freier Wildbahn. Studien an gefangenen Tieren lassen sich kaum übertragen.“
(Quelle: Marino & Frohoff, 2011)
Die bedeutendsten Erkenntnisse über Wale und Delfine – etwa zu Dialekten, Jagdverhalten oder Sozialverbänden – stammen fast ausschließlich aus der Feldforschung. Namen wie Hal Whitehead, Ken Balcomb oder Denise Herzing stehen für jahrzehntelange Arbeit mit freien Tieren.
Was in Delfinarien hingegen oft als Forschung gilt, ist meist verhaltenspsychologische Datenaufzeichnung unter kontrollierten Bedingungen – mit geringer Aussagekraft für natürliche Lebensweisen.
Marc Bekoff bringt es auf den Punkt:
„Die Frage ist nicht, was wir herausfinden können. Die Frage ist, ob es das Tierrecht auf freie Entfaltung aufwiegt.“
(Quelle: Psychology Today, 2014)
Mein persönliches Fazit
Die Verwandlung von Orcas und Delfinen in „Showtiere“ basiert auf einer Kombination aus Verhaltensformung, Reizreduktion und sozialer Isolation. Was in Shows wie Leichtigkeit und Freude aussieht, ist in Wahrheit ein Ausdruck kontrollierter Anpassung an künstliche Lebensbedingungen. Die Forschung liefert keine ausreichende ethische Rechtfertigung. Die moderne Wissenschaft zeigt längst: Erkenntnisgewinn ist auch ohne Gefangenschaft möglich – und respektvoller.
Walforschung in freier Wildbahn
Die moderne Feldforschung an Walen und Delfinen erfolgt heute nicht-invasiv und technologiebasiert. Hier einige zentrale Methoden:
- Foto-Identifikation: Anhand von Flossen, Narben und Färbung werden einzelne Tiere erkannt und über Jahre begleitet.
- Akustische Überwachung: Unterwassermikrofone (Hydrofone) zeichnen Rufe, Klicklaute und Gesänge auf – wichtig für Analysen zur Kommunikation und zum Verhalten.
- Drohnenbeobachtung: Drohnen liefern aus sicherer Distanz Bildmaterial zu Körperzustand, Interaktionen und Bewegungsabläufen.
- Satellitentelemetrie: Sender auf der Haut (teils mit Saugnäpfen) dokumentieren Wanderwege, Tauchverhalten und Umweltreaktionen.
- Blow-Sampling: Die Analyse der Atemluft („Blow“) liefert Daten zu Hormonen, Krankheitserregern und genetischer Ausstattung.
- Verhaltensbeobachtung: Feldteams begleiten Tiere per Boot und dokumentieren Jagd, Sozialverhalten, Kommunikation und Mutter-Kind-Interaktionen.
Diese Methoden ermöglichen Erkenntnisse über Dialekte, Sozialstrukturen, Migrationsverhalten und Gesundheitszustände – ohne Gefangenschaft oder Dressur. Bedeutende Einrichtungen sind unter anderem das Center for Whale Research (USA), der Orca Research Trust (Neuseeland) und die University of Hawai‘i.
Die Ergebnisse zeigen: Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse lassen sich auch ohne Zäune, Shows und Becken gewinnen – respektvoll, nachhaltig und transparent!
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