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Wenn Delfine aufhören zu atmen – Gedanken zu Gefangenschaft und Bewusstsein

Wenn Delfine aufhören zu atmen – Gedanken zu Gefangenschaft und Bewusstsein

Es gibt Momente, die haften bleiben. Einer davon ist die Geschichte von Kathy, einem weiblichen Großen Tümmler – bekannt aus der Serie Flipper. Ihr ehemaliger Trainer, Ric O’Barry, erzählt, sie sei in seinen Armen gestorben, habe einfach aufgehört zu atmen. Für ihn war es ein Wendepunkt – aus dem Tiertrainer wurde ein Kritiker der Delfinarien.

Kann ein Delfin beschließen, nicht mehr zu leben? Die Frage wirkt auf den ersten Blick absurd, vielleicht sogar vermenschlichend. Doch sie berührt etwas Fundamentales: das Bewusstsein dieser Tiere – und unser Verhältnis zu ihnen.

Was sagt die Wissenschaft?

Delfine und Wale sind bewusste Atmer. Sie holen nicht reflexartig Luft wie wir – sie tun es aktiv. In der Theorie bedeutet das: Sie könnten sich entscheiden, nicht mehr zu atmen. Fälle wie jener von Kathy, aber auch andere dokumentierte Ereignisse, lassen zumindest die Möglichkeit zu, dass ein Tier unter extremem Stress diesen Weg wählt.

Verhaltensforscher vermeiden den Begriff „Suizid“ bei Tieren. Zu viele Voraussetzungen fehlen: ein Begriff von Tod, eine Zukunftsperspektive, eine bewusste Entscheidung. Aber was man beobachtet, ist nicht weniger erschütternd: chronischer Stress, soziale Isolation, stereotype Bewegungen, Selbstverletzung, Nahrungsverweigerung. Und in manchen Fällen: das bewusste Nicht-Wiederauftauchen zum Luftholen.

Der Preis der Schau

In Gefangenschaft lebende Meeressäuger zeigen Verhaltensweisen, die man sonst nur bei tieftraumatisierten Tieren kennt: das Reiben der Schnauze an Beton, das Schwimmen im Kreis, das Verharren in einer Ecke. Ihre Lebenserwartung ist oft deutlich kürzer als in freier Wildbahn. Manche werden nur wenige Jahre alt.

Dass Delfine und Orcas ein Selbstbewusstsein haben, gilt in der Forschung mittlerweile als weitgehend belegt. Sie erkennen sich im Spiegel. Sie entwickeln Dialekte. Sie trauern. Wenn solche Wesen in einem Becken kreisen, das für sie kaum größer ist als eine Badewanne im Ozean – was richten wir dann an?

Warum wir das wissen – und es trotzdem tun

Die Show geht weiter. In Freizeitparks, Kreuzfahrtschiffen, Hotelanlagen. Dabei liegt das Wissen längst auf dem Tisch. Bücher, Studien, Reportagen – sie alle zeigen, was passiert, wenn intelligente, soziale Tiere in Betonbecken isoliert werden.

Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Viele Menschen lieben Delfine, gerade weil sie in Shows mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Aber es ist Zeit, diesen Kontakt zu überdenken. Vielleicht liegt Liebe nicht im Besitz, nicht in der Vorführung, sondern in der Freiheit des Anderen.

Ein stiller Abschied

Wenn ein Delfin aufhört zu atmen, ist das kein Spektakel. Es gibt keine dramatische Musik, keinen Aufschrei. Nur Stille. Für Ric O’Barry war Kathys Tod eine leise, aber endgültige Entscheidung – und der Beginn eines neuen Weges. Vielleicht ist es auch für uns Zeit, den eigenen Umgang mit diesen Tieren zu hinterfragen.

Quellen & Hintergrund
  • Ric O’Barry: Behind the Dolphin Smile, 1990
  • Lori Marino: The marine mammal captivity debate, 2011
  • Thomas I. White: In Defense of Dolphins, 2007
  • Naomi A. Rose: Humane Society International Reports, 2014
  • WDC (Whale and Dolphin Conservation): Captivity Mortality Statistics
  • Orca Research Trust: Fallberichte zu Orca Hugo und Tilikum
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